Kardinal Kasper schreibt, der Papst sei kein Reformer, sondern ein Radikaler. Da hat er recht. Der Papst möchte zurück zu den Wurzeln der Kirche, zu einer Gemeinschaft der Schwestern und Brüder. Entsprechend trägt die neue Enzyklika auch den Titel „Fratelli tutti„, zu deutsch an alle Geschwister.

Die Erwartungen an den Papst allerdings, was die Reform der Kirche angeht, sind schon lange enttäuscht worden. Hier kommt vermutlich auch nichts mehr. Auch ökumenische Fortschritte werden kaum zu erwarten sein. Überraschend ist der Papst aber immer noch, wenn es um die Gesellschaft als Ganzes geht.

Die neue Enzyklika „Fratelli tutti“, die jüngst veröffentlicht wurde, gehört genau in diese Kategorie. Der Papst wagt eine Utopie und entwirft in seiner dritten Enzyklika nicht weniger als eine Ordnung für eine bessere Welt.

Wie kann das gehen? Ganz einfach. Der Papst wendet sich an alle Menschen guten Willens, weil er der Überzeugung ist, dass allen Menschen ein Same Gottes eingepflanzt ist. Ganz egal welchem Glauben sie anhängen, ja selbst dann, wenn nichts mehr geglaubt wird, ist ihnen deswegen der gute Wille gemeinsam. Deswegen sind alle Menschen einer Überzeugungsgrundlage verbunden, die gemeinsames Handeln möglich macht.

Das begeisternd optimistisch! Nicht umsonst bezieht sich der Papst erstmals in einer katholischen Enzyklika mit Großiman Ahmad a-Tayyeb auf einen muslimischen Gewährsmann.

Allerdings, und das muss auch hinzugefügt werden, leitet sich für den Papst aus dieser gemeinsamen Überzeugungsgrundlage einen großen Anspruch ab.

Ich nenne nur drei, vier Beispiele aus der Enzyklika:

Das Gute ebenso, wie die Liebe, die Gerechtigkeit und die Solidarität erlangt man nicht ein für alle Male, sie müssen jeden Tag neu errungen werden. Anders ausgedrückt, der Same muss gepflegt, gegossen, ja gefördert werden und das kostet Kraft und Anstrengung!

In der gegenwärtigen Welt nimmt das Zugehörigkeitsgefühl zu der einen Menschheit ab, während der Traum, gemeinsam Gerechtigkeit und Frieden aufzubauen, wie eine Utopie anderer Zeiten erscheint. Ein aktueller Slogan lautet: Amerika zuerst, damit wird vergessen, dass wir alle zu einer Menschheit gehören und es niemals darum gehen kann, einzelne oder gar ganze Gruppen zurückzusetzen, sondern das Wohl aller zu suchen.

Ein aktuelles Beispiel aus der Enzyklika dafür lautet: Die Pandemie hat das Bewusstsein geweckt, eine weltweite Gemeinschaft zu sein. Sie erinnert uns daran, dass keiner sich allein retten kann. 

Und weiter: Der Ruf (ist), unser Herz so weit zu machen, dass es den Fremden miteinschließt. Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht. Das ist ein starker Satz aus der Enzyklika, er macht klar, dass menschliche Härte im Umgang miteinander natürlich auch eine Rückwirkung auf unsere Gottesbeziehung hat. 

Gottes Liebe ist für jeden Menschen gleich, unabhängig von seiner Religion. Und wenn er Atheist ist, ist es die gleiche Liebe. Das ist eine radikale Absage an christliche Überheblichkeit und macht auch in diesem Sinn ernst mit dem, was das Doppelgebot der Liebe meint.

Und zuletzt: Ich lade ein zur Hoffnung. Die Hoffnung ist, sie schaut über die persönliche Bequemlichkeit hinaus.

Natürlich, und das machen die wenigen Schlaglichter klar, der Weg zu einer neuen Gesellschaftsordnung, wie ihn sich der Papst vorstellt, ist anstrengend. Ja, manchmal ist er auch eine Zumutung. Aber, und daran erinnert diese Enzyklika uns immer wieder, wenn wir die Hoffnung zu verlieren drohen, in jedem und jeder von uns wohnt der Same der Liebe Gottes. Diese unbändige Kraft der Liebe, die jede und jeden von uns über sich hinauswachsen lässt, wenn es darauf ankommt. Also, warum sollte es nicht doch möglich werden, was uns unmöglich erscheint, wenn wir doch alle, die Muslime, die Buddhisten, die Atheisten, wie die Christen den göttlichen Funken in uns tragen?

1 Kommentar

Alles schöne Worte.
Nur wer hört diese
Wenn interessiert noch was der Papst sagt
Wer kennt dieses Schreiben ausserhalb der Institution Kirche.
Die Kirche scheitert doch immer wieder an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit.

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